Die Marburger Evangelische Tracht hatte das größte Verbreitungsgebiet in Hessen und war im Landkreis Marburg-Biedenkopf und darüber hinaus beheimatet. Sie entwickelte sich wahrscheinlich im ausgehenden 18. Jahrhundert im Ebsdorfergrund und wurde in der Literatur erstmals durch ein von Ferdinand Justi gemaltes Stülpchen von 1787 nachgewiesen. Somit wäre sie in der Entwicklungsgeschichte der hessischen Trachten eine der jüngsten Kleidungsformen, die sich in dieser Form bis zur Gegenwart erhalten konnte. Mit ihrer bis dahin unbekannten Farbigkeit verdrängte sie die zuvor im Landkreis beheimatete Schneppekappentracht.
Die Marburger Evangelische Tracht weitete sich stetig aus. Eine Ausnahme bildeten jedoch die katholischen Dörfer im Ostkreis mit einer eigenständigen Tracht.
Im Laufe der Zeit hat sich die Marburger Evangelische Tracht immer weiterentwickelt und moderne Facetten in ihr Erscheinungsbild aufgenommen, bei den Abendmahls- und Trauertrachten jedoch ihren „konservativen“ Stil beibehalten.
Mit dieser Sitte ging sie mit den meisten deutschen Trachtenlandschaften konform. Über nahezu 200 Jahre hat die Marburger Evangelische Tracht die tradierten Schnitte der einzelnen Kleidungsstücke, wie Rock, Schürze Mieder, Jacke und Haube, beibehalten.

Sie unterlagen aber einem stetigen Wandel. Neue Materialien wurden von der jungen Generation aufgenommen, während andere nach und nach aus der Mode kamen. Die Marburger Tracht bot so den Frauen einen entsprechenden kreativen Spielraum. So konnte sich die Tracht über Generationen erhalten. Es ist in Deutschland des zwanzigsten Jahrhunderts einzigartig, dass man im Jahr 1930, lt. Aufzeichnungen von Rudolf Helm, im Landkreis Marburg-Biedenkopf und darüber hinaus, nahezu 20.000 Trachtenträgerinnen in 164 Dörfern zählte.
Die Männer legten bereits um 1900 die traditionellen Kleidungsstücke ab. Zu Festlichkeiten wie z.B. der Kirmes, hielten sich noch bis ins 20. Jahrhundert hinein, die aufwendig in Kreuzstichstickerei angefertigten Hosenträger. Dazu gehörte ein weißes Leinenhemd mit Weißstickereien und Westen aus Samt, Atlasseide und Brokatstoffen. Als Beinkleider hatten sich mittlerweile lange Hosen aus Tuchstoffen oder feinem Cord durchgesetzt.
Des Weiteren ist der blaue „Hessenkittel“ mit teils aufwendigen Stickereien auf den Schulterpassen und den Ärmelbündchen bekannt. Dazu die blau-weiße, so genannte „Glockebätzel“.
Bis zur Gegenwart passen die Trachtenträgerinnen ihre Kleidungsweise ihrer jeweiligen Lebenssituation an und unterscheiden strikt zwischen Kirchgangs- und Sonntagstracht, Arbeitstracht oder sogenannter „halbguter Kleidung“.
Lediglich die Haarfrisur, der Schnatz, ist immer gleichgeblieben und wurde mit dem darauf befestigten Stülpchen das charakteristischste Merkmal und somit zum Symbol für die „Hessentracht“.

Im Jahr 2018 leben noch 19 authentische Trachtenträgerinnen.
Mehr über die Marburger Evangelische Tracht in unserem Trachtenatlas