Vorstellung
Die Niederhessische Spitzbetzeltracht war eine regionale dörfliche Kleidung, die wohl in folgenden Gebieten getragen wurde: Der südliche Landkreis Kassel und die südlichen nach Kassel eingemeindeten Dörfer sowie der Schwalm-Eder-Kreis mit Ausnahme des südlichen Teils und des östlichen Zipfels im Bereich Spangenberg. Ebenfalls ausgeschlossen werden müssen die katholischen Orte Fritzlar, Ungedanken und Rothhelmshausen sowie Naumburg. Weiterhin trugen die Bewohner der Städte Kassel, Gudensberg, Melsungen und Homberg, mit Ausnahme ihres Dienstpersonals aus den umliegenden Dörfern, keine Tracht.
Die Spitzbetzel ist die Namensgeberin und das charakteristische Stück der folgenden Tracht. Deshalb soll an ihrem Aufkommen der Beginn der neuen Tracht festgemacht werden. Es ist jedoch nicht möglich, ein konkretes Datum zu nennen. 1824 werden auf einem Gemälde von Carl Rohde zwei junge Frauen mit der neuen Haube dargestellt. Aus dem Jahr 1840 gibt es ein Ölgemälde, auf dem eine Frau eine Spitzbetzel trägt. Vorläuferin dieser Spitzbetzel sind runde und spitze Pikeehauben.
Frauentracht
Kopfbedeckung
Die Spitzbetzel ist eine dreiteilige, leinene Haube, die mit schwarzem Satin bezogen ist. Darüber kommt ein bis 4,50 m langes und ca. 11 cm breites schwarzes Satinband, das in einem Stück um die Haube geschlungen und dabei zur Schleife gelegt wird. Die sichtbare Rückseite des Betzelbodens ist mit Plattstickerei, manchmal auch mit Perlen bestickt. Nur diese Stickerei wurde von der Besitzerin selbst angefertigt. Alles andere erledigten sogenannte Betzelfrauen. Die Kinnbänder sind in hellen oder gedeckten Farben mit Blumenmustern gehalten. Sie wurden nur festgesteckt, so dass sie dem jeweiligen Anlass entsprechend ausgetauscht werden konnten, (z.B. schwarze Bänder zum Abendmahl oder bei Trauer). Sie sind unter dem Kinn zu einer Schleife gelegt, werden aber mit Haken und Öse geschlossen. Zur Feier des Abendmahls wurde eine kleine weiße Piqueèbetzel getragen, über die eine weiße Ziehhaube und darüber wieder eine schwarze Florhaube gezogen wurde. Bei harter Trauer wurde statt des obersten Florhäubchens ein schwarzes Samt-, oder Tuchkäppchen übergezogen.
Haartracht
Die Haartracht zur Spitzbetzel bestand aus dem sogenannten Kutz, d.h. die Frauen trugen einen Mittelscheitel und die Haare wurden zu einem Knoten, dem Kutz, verschlungen. Dieser Kutz verschwand unter der Betzel. Später wurde der Haarknoten auf dem Hinterkopf befestigt, die Betzel saß dann mit ihrem unteren Rand darauf auf.
Jacke
Sie hatte ein eng anliegendes Oberteil, überschnittene Schultern und viele Falten, die im Bereich der Schultern begannen und nach einem keilförmigen Verlauf in der Mitte des Oberbauchs zusammenliefen. Dazu gehörten meistens weite Ärmel mit einem eingezogenen oberen Bereich.
Umhang
Zum Schutz vor der Kälte wurde zunächst ein großes, dunkles, wollenes und mit Fransen verziertes Umschlagtuch getragen. Später ging man zu einem umhangartigen Mantel, dem Ellermantel, über. Er war kreisförmig geschnitten, vorn und am Kragen mit schwarzem Samt besetzt und wurde am Hals mit doppeltem Knopf oder Haken und Öse geschlossen. Dieser Mantel wurde aus mit Blumen bedrucktem, schwarzem Kattun, später aus schwarzem Wolltuch, hergestellt und war mit Biber gefüttert.
Tuch
Das Schultertuch war um die Mitte des 19. Jahrhunderts überwiegend weißgrundig und mit Rosen bedruckt, später wurden die Farben besonders bei älteren Frauen gedeckter. Es war aus Seide oder Wolle hergestellt und rundum mit geknüpften Fransen versehen. Es wurde über eine Diagonale gefaltet, die sichtbare rechtwinklige Ecke lag auf der Mitte des Rückens, die beiden anderen Zipfel kreuzten einander auf der Brust und gingen straff geführt weiter zum Rücken, wo die Enden verknotet wurden.
Rock
Der weite Rock hatte einen Umfang von bis zu 4,50 Meter. Er war mit bis zu drei Samtbändern und Biesen über dem Saum verziert und endete zwischen Wade und Knöchel. Der Rock bestand aus sechs Bahnen. Während er an den Seiten in Falten gelegt und hinten eng gefaltet wurde, war er unter der Schürze glatt.
Schürze
Die festliche Schürzen bestanden häufig aus einem schwarzen glänzenden Material und waren ebenfalls mit Samtbändern verziert. Üblicherweise wurden gute Schürzen mit einem Knopf an der linken Seite verschlossen. Bei Trauer waren sie einfacher, matt schwarz und vor allem ohne Spitzen. Für werktags gab es blau gemusterte Schürzen aus Baumwolle oder Leinen, die selbst genäht einen geraden Bund, aber keinen Latz besaßen.
Hemd
Das Hemd war aus Leinen, lang bis über oder an das Knie und hatte halb-, oder dreiviertellange, offene Ärmel. Der Ausschnitt war klein und oval oder eckig.
Weste
Die Weste lag eng am Oberkörper an, wurde vorn geschlossen und besaß auf dem Rücken zwei Nähte, die von der Mitte des Armlochs im Bogen nach unten verliefen. Der Halsausschnitt war oval und nach vorn etwas ausgeschnitten.
Strümpfe
Die gestrickten Strümpfe waren weiß oder wollweiß.
Schuhe
Die Schuhe waren aus schwarzem Leder, niedrig und tief ausgeschnitten. Wochentags wurde ein derber, knöchelhoher Rindlederschuh getragen. Im Haus trug man selbstgefertigte Tuchschuhe, sogenannte Batschen.
Männertracht
Kopfbedeckung
Als Kopfbedeckung diente eine runde Kappe aus Krimmer (Persianer) oder Biberfell, die sich beim Tragen der ovalen Kopfform anpasste. Die Strumpfbetzel wurde im Wesentlichen im Dorf und bei der Arbeit getragen.
Weste
Die Weste war hochgeschlossen, farbig und hatte kleine, umgelegte Reversecken. Sie war doppelreihig mit Knöpfen aus Messing oder Zinn verziert, von denen drei Knöpfe als Verschluss dienten.
Kittel
Der blaue Leinenkittel besaß im Prinzip denselben Schnitt wie die älteren Männerhemden: Gerade Seitennähte, quadratische Zwickel unter den Armen, gerade angesetzte Ärmel mit Bündchen und Knopfverschluss, zwei Schulterpassen, die sich zum Hals hin teilten und den dreieckigen Zwickel umfassten. Der Schlitz in der vorderen Mitte konnte mit Haken und Öse verschlossen und mit weißen Knöpfen verziert sein. Ebenso war eine Taschenöffnung an der rechten und linken unteren Seite möglich.
Halstuch
Halstücher waren aus Leinen, Baumwolle oder Batistmousseline und mit den verschiedensten Farben und Mustern angefertigt. Es wurde unter dem Umlegekragen getragen.
Hose
Die Kniehose war aus hellem Leder oder aus schwarzem Samt, die Arbeitshose zur Erntezeit aus weißem Leinen hergestellt.
Hemd
Das lange, weiße Leinenhemd war aus geraden Teilen geschnitten, hatte einen Umlegekragen und lange Bündchenärmel sowie vorn in der oberen Mitte einen Schlitz. Mit besonderen Verzierungen, weiß oder farbig ausgestattet, waren das Konfirmations- und das Hochzeitshemd.
Strümpfe
Die gestrickten Strümpfe waren weiß oder wollweiß.
Schuhe und Gamaschen
Die Schuhe sind aus schwarzem Leder und mit Schnallen verziert. Zum Schutz bei schlechtem Wetter wurden Gamaschen aus Leder oder festem Stoff getragen.
Quellenverzeichnis
- Muster, Karl (1953). Die Spitzbetzeltracht im Amte Felsberg des Kreises Melsungen. Ein Beitrag zur Niederhessischen Volkstracht. 8, 10, 204. Melsungen, Kommissions-Verlag A. Bernecker
- Rittger, Ingrid (2009). Die Niederhessische Spitzbetzeltracht. Geschichte einer regionalen dörflichen Kleidung. Bd. 50. 14, 169-170, 190, 193, 217, 256, 266, 315, 323. Edermünde, Kultur- und Heimatverein Haldorf e.V.. ISBN 3-925333-50-9
- Schmitz, Irmhild (2004). Miteinander, 40 Jahre – 40 Tänze. Das Tanzbuch der Volkstanzgruppe Besse. 13-14, 207. Edermünde-Besse, Volkstanzgruppe Besse e.V.. ISBN 3-00-013503-0
Literaturempfehlungen
- Muster, Karl (1953). Die Spitzbetzeltracht im Amte Felsberg des Kreises Melsungen. Ein Beitrag zur Niederhessischen Volkstracht. Melsungen, Kommissions-Verlag A. Bernecker
- Rittger, Ingrid (2009). Die Niederhessische Spitzbetzeltracht. Geschichte einer regionalen dörflichen Kleidung. Bd. 50. Edermünde, Kultur- und Heimatverein Haldorf e.V.. ISBN 3-925333-50-9
- Schmitz, Irmhild (2004). Miteinander, 40 Jahre – 40 Tänze. Das Tanzbuch der Volkstanzgruppe Besse. 13-14, 207. Edermünde-Besse, Volkstanzgruppe Besse e.V.. ISBN 3-00-013503-0. kaufen
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