Vorstellung
Aus alten Schulchroniken des vergangenen Jahrhunderts und Aufzeichnungen von verschiedenen Hochlandgemeinden ist zu entnehmen, dass das Gilserberger Hochland als Grenzgebiet zwischen Schwalm und Lahn keine einheitliche, reich geschmückte Tracht entwickelt hat. Das damals karge und ärmliche Land zwischen Nieder- und Oberhessen hatte aber innerhalb der einzelnen Orte seine eigene Männer- und Frauenkleidung. Verschiedene, um 1900 befragte Personen, bezeichneten die in den Dörfern Appenhain, Itzenhain, Gilserberg, Moischeid und Winterscheid getragene Tracht als „Gilserberger Tracht“, die in Sachsenhausen, Lischeid und Josbach als „niederhessische Tracht“ und die in Schönau als Übergang von der ober zur niederhessischen Tracht. Die Heimbacher Tracht wurde als „Edertaler Tracht“ bezeichnet.
Richtiger ist die Mittelstellung, die die Schönsteiner Tracht einnahm, denn es sind in ihr Form und Schmuckelemente aus Ober- und Niederhessen verschmolzen. Im Westen grenzt sie an die Marburger Tracht. Diese hat in kleinen Falten gelegte plissierte Röcke, welche mit Borde versehen sind. Hier lehnt sich das Kirchspiel Sachsenhausen mit den Orten Itzenhain, Appenhain, Lischeid, Winterscheid und Heimbach an.
Frauentracht
Die Kopfbedeckung
Bis etwa 1900 wurde eine Bänderhaube, die sogenannte Schlinkebätzel (Schleifenbätzel) zum Kirchgang getragen. Zum Abendmahl und bei der Traue wurde noch eine weiße Spitzenhaube darüber gesetzt.
Die Haartracht
Hinter den Ohren wird auf jeder Seite ein Zopf gerade herunter geflochten, dem im unteren Drittel ein Band oder Schuhriemen eingeflochten wird. Das Ende des Zopfes wird mit dem Band zugebunden. Die beiden Zöpfe werden um den Kopf gelegt (Gretchen Frisur) und hinten mit den Bänder zusammen gebunden. Dieses Kränzchen wird dann mit Haarnadeln befestigt und wer hat mit Schmucknadeln (Hornnadeln evtl. mit Strass besetzt) bestückt. Zur Arbeit wird das Ganze mit einem Kopftuch abgedeckt.
Zur Hochzeit wird ein Myrthenkränzchen mit Wachsperlen über die Zöpfe gelegt und hinten mit einer Rocklangen am Ende mit Perlenbestickten weise Morree oder Satin Schleife verbunden.
Das Hemd
Das Hemd ist aus weißem, handgewebtem Leinen (ältere Form), Baumwolle oder Mischgewebe gefertigt. Die Ärmelkanten sind beim Sonntagshemd mit Stickereien oder auch mit weißer Wäschespitze besetzt.
Das Leibchen
Das Leibchen ist taillienlang und wie eine Weste geschnitten, der Rücken im Prinzessschnitt und vorne mit Abnähern in Form gebracht. Die sogenannte Wurst ist hinten in der Mitte geteilt. Für sonntags war das Leibchen zumeist aus Samt in schwarz, blau, grün oder braun. Für werktags werden karrierte oder geblümte Baumwollstoffe genommen.
Der Unterrock
Zu einem guten Anzug wurden zumeist 2 Unterröcke getragen. Der Unterste ist ein weißer Leinen- oder Baumwollunterrock. Der zweite Unterrock ist für den Sommer aus Baumwollstoff oder Schwesternleinen meist grau oder graumelliert mit Ripsband besetzt. Bei heißem Wetter wird er auch gerne als Arbeitsrock getragen. Der Winterunterrock ist aus angerautem Baumwollstoff oder Bieberstoff. Meist in grau mit einfachem Band besetzt.
Der Rock
Der Rock wird waden- bis knöchellang gearbeitet. Bevorzugtes Material ist Beiderwand und Wollstoff, später dann auch Baumwolle. Die Farbpalette reicht von schwarz, braun, grün, grau, blau bis lila, jedoch immer in gedeckten Tönen. Die Rockweite beträgt ca. 4-5 Meter und wird im oberen Drittel in kleine Falten gelegt.
In jedem Rock befindet sich ein „Wirrerstoss“, ein Streifen aus meist buntbedruckter Baumwolle, der an dem unteren Saum angenäht und nach innen umgeklappt wird. An der Rockkante wird gerne eine Besenlitze oder Kordel verarbeitet, um den Stoß zu schützen. Jeder Rock wird mit mindestens zwei Samtbänder in schwarz besetzt. Oberhalb und Unterhalb der Samtbänder wird der Rock mit Borten (auch mit Perlen und Pailletten bestickt), Webbändern und Guimpen geschmückt.
Die Jacke
Die Sonntagsjacke ist meist aus Samtstoff in schwarz, braun, grün, oder blau. In früherer Zeit auch oft aus bestickten Samtstoffen oder Jaquardstoffe. Die Werktagsjacke ist aus bedrucktem Baumwollstoff gearbeitet. Die Jacke ist hochgeschlossen und mit Stehkragen oder Umlegekragen gearbeitet. Vorn wird sie mit Haken und Ösen geschlossen. Eine Blende verdeckt die Verschlüsse.
Die Rückenmitte ist mit einer Naht oder mit zwei auseinandergebügelten Biesen gearbeitet. Das angeschnittene Schößchen läuft in der hinteren Mitte spitz zu. Der gesamte Rücken ist wie beim Leibchen im Prinzessschnitt genäht. Die Vorderseite ist mit Schulterpasse.
Die beiden Vorderteile werden vom Saum her in Falten gelegt (3-5 Stück) und zur Hälfte von unten festgenäht, dann an die Schulterpasse angegräuselt oder ebenfalls in Falten (evtl. mit Köpfchen) angenäht. Die Passe wird mit Spitze verziert. Zusätzlich werden die Vorderteile mit Abnähern in Form gebracht.
Der Ärmel besteht aus einem ober und unter Ärmel (wie bei einem Blazer). In der Schulterpartie ist er eingegräuselt (Keulenärmel). Der Ärmel ist am Handgelenk mit einer Blätterguimpe oder anderem Band passend zu Schürze besetzt. Das Stehbündchen und die Ärmelkante sind mit einer weißen schmalen Spitze unterlegt.
Die Schürze
Die Schürze war meist passend zur Jacke. Gleicher Stoff und passende Bänder und Guimpen als Besatz. Die Sonntagsschürze meist aus Samt, Jaquard, Seide, Baumwolle, Leinen, Spitzenstoffe usw..
Die Werktagsschürze ist aus bedrucktem Baumwollstoff passend zur Jacke. Die Arbeitsschürzen sind aus blaugestreiftem Baumwollstoff oder für grobe Arbeiten auch Sackschürzen.
Die Schürze war mit oder ohne Bund und in der Taille in feine Falten gelegt evtl. wird eine Borte auf die Falten genäht. Von unten werden entweder Borten oder Guimpen besetzt oder sie wird mit Biesen benäht.
Das Tuch
Passend in der Farbe des Gewandes ist das buntbestickte Tuch mit langen Seidenfranzen. Dieses Tuch wird über der Jacke getragen. Es wird zum Dreieck gefaltet, über den Rücken nach vorne gelegt, vor der Brust überkreuzt und in der Taille wieder nach hinten geführt und zugebunden. Für kalte Tage wird zusätzlich ein wollenes Umhängetuch über die Schulter getragen. Es wird zumeist von den Frauen selbst gestrickt, gehäckelt oder gegabelt.
Männertracht
Die Schönsteiner Tracht der Männer bestand aus einem blauen Hessenkittel und einer dunkleren Hose, versehen mit einem Halstuch. Der Kittel war an den Schulterstücken weiß und blau gestickt, die Armbündchen und die Halsöffnung waren wie vor bestickt und mir weißen Knöpfen versehen. Das dazu gehörige Halstuch für jüngere Männer wurde in roter Farbe, das der älteren in schwarz getragen. Diese Tracht wurde von älteren Herrn noch bis zu Beginn des 2. Weltkrieges getragen.
Sonntags in die Kirche und bei feierlichen Anlässen, wurde anstatt des blauen Kittels ein weißes Hemd, eine schwarze Hose, evtl. eine Weste, der schwarze Gehrock und der Zylinder getragen.
Quellenverzeichnis
- Führer, Dr. J. (2003): Auf Spurensuche im Gilserberger Hochland, 1. Auflage.
- Miehe, Brunhilde (1995): Der Tracht treu geblieben, 2. Auflage.
Literaturempfehlungen
- Führer, Dr. J. (2003): Auf Spurensuche im Gilserberger Hochland, 1. Auflage.
- Miehe, Brunhilde (1995): Der Tracht treu geblieben, 2. Auflage.
HVT-Gruppen mit Schönsteiner Tracht
Hessische Volkskunstgilde e.V.
Anneliese Schömann
anneliese.schoemann@hvt-hessen.de
www.hessischevolkskunstgilde.com/
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