Vorstellung
Man kann davon ausgehen, dass um etwa 1700 in ganz Nordhessen eine einheitliche, altertümliche Tracht getragen wurde. Die frühesten Bildquellen der Schwälmer Tracht stammen aus den Jahren 1820/1824, und sind von Ludwig Emil Grimm gefertigt worden. Sie zeigen, dass die Tracht zu dieser Zeit noch recht einfach war. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelte sie sich zur typischen Schwälmer Tracht.
Die Schwalm, ein Landstrich eingebettet zwischen dem Vogelsberg im Süden, dem Kellerwald im Westen und dem Knüllgebirge im Osten, durchzogen von den Flüssen Fulda, Eder und Schwalm, zeichnet als deutlich begrenzter Kulturraum ab, das Gebiet der „Schwälmer“. Die-Schwalm umfasst etwa den Mittellauf des gleichnamigen Flüsschens, südlich begrenzt von Alsfeld und nördlich von Treysa. Im Osten zieht das Knüllgebirge eine scharfe Grenze, und im Westen stößt sie an das Marburger Trachtengebiet. Zum Gebiet der Schwalm gehören etwa 35 Dörfer und 3 Kleinstädte. Dies sind unter anderem:
- Großgemeinde Immichenhain, Ottrau
- Großgemeinde Schrecksbach
- Großgemeinde Neukirchen
- Großgemeinde Willingshausen, Wasenberg
- Teile der Großgemeinde Frielendorf
- Teile der Großgemeinde Schwalmstadt mit Ziegenhain und Treysa
- Hattendorf und Berfa im Süden
Die Frauentracht
Kopfbedeckung
Die Schwälmer Frau besitzt sechs Kopfbedeckungen: Die Kappe, das Geschappel, die Ziehhaube, die Ketzekappe mit Knöpftuch und das Trauermäntelchen, sowie zur Feldarbeit ein dünnes Baumwollkopftuch.
Haartracht
Die Haare werden vorne, seitlich und hinten streng nach oben gekämmt und dort zu zwei Zöpfen geflochten, die wiederum zu einem hoch aufragenden, zylinderförmigen Schnatz verzwirbelt werden. Dieser sitzt in etwa mittig zwischen den Ohren. Über diesen Schnatz werden dann die jeweiligen Kopfbedeckungen gestülpt. Zum Kirchgang bindet man die Kappenbänder, die mit Nadeln an der Kappe befestigt sind, unter dem Kinn zu einer großen Schleife. Ansonsten befestigt man die auch Kappenschnüre genannten Bänder auf dem Rücken oder schulternah vor der Brust.
Halstuch
Um den Hals trägt die Schwälmerin je nach Anlass ein seidenes, wollenes oder aus Baumwollkattun bestehendes Halstuch. Dazu kommt eine Bernsteinkette oder ein entsprechendes Imitat aus geschliffenem Glas. Zu besonderen Anlässen werden auch Ketten aus Glasperlen getragen.
Unterhemd
Die Schwälmer Frau trägt ein weißes langes Unterhemd, welches etwa eine Handbreit unter den Röcken zu sehen ist. Darüber ein weißes Leinenmieder, an dem die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgeschlagen werden. Das Ende dieser Arme ist mit kunstvoller Weißstickerei ausgeschmückt, die durch das Hochkrempeln den Oberarm bedeckt.
Mieder
Über dem Mieder trägt man das schwarze .Knöppding“, so genannt, da es durch eine Anzahl bunt bestickter Knöpfe herzförmig geschlossen wird. An diesem sind unten die wurstförmigen Kissen befestigt die dann die schweren Röcke tragen.
Röcke
Die zahlreichen Röcke (3-5 zur Arbeit, 8-14 zur Hochzeit) reichen von oberhalb der Hüfte (unterster Rippenbogen) bis an die Kniescheibe. Sie sind sehr weit gearbeitet und am Bund in enge Falten plissiert. An der Unterkante sind sie mit verschiedenen bunten Bändern aus Seide geschmückt. Teilweise wird eine breitere Seidenschnur mit einer oder zwei schmalen benäht. Man nennt das „geschlangt“, „doppelt geschlangt“ oder „geachtert“. Die Röcke selbst sind aus robustem Beiderwand gearbeitet, wobei der oberste mit Speckstein geglänzt ist. Obwohl die Röcke schwarz scheinen, sind sie tatsächlich dunkelblau.
Strümpfe
Die Strümpfe aus Wolle zur Arbeit oder aus Baumwolle zu festlichen Anlässen sind wahre Kunstwerke ihrer Art. Sie sind in den verschiedensten Mustern gestrickt und zeigen in den Zwickeln Zierformen wie Herzen, Rauten, Sterne und anderes. Die Strümpfe werden oberhalb des Knies mit Strumpfbändern gebunden. Deren lose, bunt bestickte Enden werden in Höhe der Waden an den Strümpfen befestigt.
Schuhe
An den Füßen sitzen besondere Schnallenschuhe. Sie sind bei den Frauen über einen Leisten geschlagen und können rechts wie links am Fuß getragen werden. Sie haben einen weit unter die Ferse gesetzten Absatz und werden mit einer Messingschnalle mit durchgezogenen Lederohren verschlossen. Die Schnallen gibt es in dreierlei Ausfertigungen: Die Eckenschnallen für festliche Anlässe und Sonntage, die ovale Trauerschnalle für tiefe Trauer und die ebenfalls eckige Perlenschnalle für leichte Trauer oder „Abtrauer“.
Schürze
Ergänzt werden die Röcke bei ledigen und jung verheirateten Frauen durch eine weiße Leinenschürze, zu Festen und zur Kirche durch eine blau geglänzte Schürze. Verheiratete Frauen tragen allgemein die blau geglänzte Schürze, die bei festlichen Anlässen mit Tanzecken geschmückt wird. Zu der weißen Schürze wird um die Taille ein fein mit Weißstickerei besticktes Schürzenband getragen, in das wiederum hinten ein buntes Schürzenschnürchen eingebunden wird. Zur blauen Schürze trägt man außer dem Schürzenschnürchen im Rücken ein breites geblümtes Seidenband als Gürtel, das in einer Schleife vorne auf der Schürze endet. Schürztuchschnürchen, Kappenbänder, Kappe, Ecken und Strumpfbänder werden meistens passend zueinander gefertigt.
Farben zur Tracht
Man erkennt an der Farbe der Frauen- und Mädchenmützen, den Seidenschnüren an Röcken und am Rücken, den Kappenschnüren und den Strumpfbändern den Familienstand und den Anlaß, aus dem heraus sie getragen werden. Der Stand ist an der Farbgebung erkenntlich. Für Unverheiratete bis etwa ins dreißigste Lebensjahr rot, für das Alter von 30 bis 45 grün, für das Alter zwischen 45 und 55 violett (blau) und für die Frauen über 55 Jahren schwarz-weiß, bei Trauer in jedem Alter ganz schwarz. Farben, die zusammen gehören:
- rot und gold für jung und ledig
- grün und silber für verheiratet
- blau und silber für älter
- schwarz und weiß für Alter und Abtrauer (Ende der Trauerzeit)
- schwarz für starke Trauer und hohes Alter
Die Männertracht
Kopfbedeckung
Der Schwälmer Mann besitzt vier Kopfbedeckungen, den Filzhut, die schwarze Bromkappe, den Dreimaster und die mit Goldlitze verzierte Otterfellmütze (Sammetse-Kappe). Die Kopfbedeckungen werden nur zu den dazugehörigen Anzügen getragen.
Kittel
Als Überrock am meisten getragen wird der dunkelblaue „Kittel“ von hemdartiger Form. Er ist ringsum geschlossen, nur am Halsschlitz zugehakt und an den Ärmeln zugeknöpft. Am Halsschlitz, auf den Achselstücken und am Stehkragen, sowie an den Ärmelbündchen ist er reich mit Woll- oder Seidenstickerei versehen. Am Stehkragen sind außerdem noch zwei Messingklammern zur Zierde angebracht. (6)
Weste
Die rote Weste zeigt einen fellartigen Besatz und viele kleine Messingknöpfe. Diese sind an Stehkragen, Taschen und dreireihiger Knopfleiste angebracht. Das Rückenteil der Weste ist aus weißem Leinenstoff. Sie wird bis auf wenige Ausnahmen nur von ledigen Männern oder Kindern getragen. Die dunkelblaue, kragenlose Tuchweste ist mit blauer Stickerei aus Wolle und Seide versehen. Jede Seite und die barocken Taschenklappen sind mit gemusterten vergoldeten Knöpfen verziert.
Hemd
Unter der Weste trägt man das Leinenhemd, in dessen Kragen das schwarze Halstuch so eingebunden wird, dass beide Enden waagerecht nach außen abstehen. Der Hemdkragen, der Ausschnitt und die Armelbündchen sind mit Weißstickerei versehen.
Hose
Die weißen Kniehosen sind aus weißem Leinenstoff oder aus weißem Leder. Sie werden unterhalb des Knies mit blauen oder weißen Hosenbändern zugebunden, so dass auch gleichzeitig die Strümpfe festgehalten werden.
Strümpfe
Bei den weißen Strümpfen gibt es keine Unterschiede zu den Frauenstrümpfen. Blaue Strümpfe werden zum Kirchgang oder zur Arbeit getragen.
Schuhe
Zu den jeweiligen Anlässen werden Schnürschuhe, Schnallenschuhe oder Faltenstiefel angezogen. Die Männerschuhe sind immer zweileistig gearbeitet. Die eckigen Schnallen unterscheiden sich nicht von den Frauenschnallen. Bei den ovalen Trauerschnallen sind die Zierlöcher bei den Männern andersförmig ausgestanzt als bei den Frauen.
Die Schwälmer Hochzeitstracht
Die größte Prachtentfaltung der Schwälmer Tracht zeigt sich in den Trachten, die zur Hochzeit getragen wurden, wobei auch hier Abstufung in der sozialen Hierarchie der bäuerlichen Gesellschaft Berücksichtigung finden.
Tracht der Schwälmer Braut
Mit dem Tag der Hochzeit trägt die Schwälmer Braut erstmals die grüne Tracht der verheirateten Frauen. In der Grundform ist dies die Tracht, die auch zum Abendmahl getragen wird. Über dem knielangen weißen Leinenhemd, das knapp handbreit unter den Röcken hervorschauen muss, wird ein Geschirrchen mit ca. 5 cm dicker Wulst getragen, auf dem die Röcke oberalb der Taille gehalten werden. Darüber trägt man ein schlichteres weißes Mieder und darüber ein stolzes, an den Ärmeln mit Stickereien reich verziertes blaues Mieder. Nun kommt ein Samtleibchen, in das ein mit Gold- oder Silberstickerei und grüner Seidenbandeinfassung versehener Bruststecker eingesteckt und mit Nadel und Faden angeheftet wird.
Zu den Schnallenschuhen mit eckiger Festtagsschnalle und einer untergechlagenen Lasche trägt man hüfthohe stolze Zwickelstrümpfe, die über dem Knie mit Strumpfbändern aus Samt gehalten werden.
Die Anzahl der in ihrer Wertigkeit aufsteigend eingefassten Beiderwandröcke richtet sich nach dem sozialen Status der Trägerin und liegt zwischen neun und zwölf, in Einzelfällen auch bei dreizehn und vierzehn Röcken. Der oberste Rock ist ein wollener schwarzer Abendmahlsrock, dazu die entsprechende seidenglänzende Abendmahlschürze. Auf dem Rücken trägt die Braut das sogenannte Brett, ein aus Samtbändern kunstvoll zusammengesteckter Fächer. Auf der Brust wird der Bruststecker ebenfalls mit Samtbändern fächerartig eingefasst.
Um Hals und Schultern trägt die Braut ein schwarzes Seidentuch mit farbiger Borte und grünen Seidenfransen, eine aus Klöppelspitze gefertigte blaue Halskrause, den sogenannten Striffel und als Schmuck eine Doppelreihige Bernsteinkette mit Königsberger Schliff und eine doppelreihige Kette aus grün und silberfarbenen böhmischen Hohlglasperlen.
Über dem auf der Kopfmitte zu Zöpfen geflochtenem Haar trägt die Braut auf einem mit den Zöpfen vernähtem Untergestell das sogenannte Geschappel, eine kunstvoll aus ca. 30 grünen Seidenbändern à 1,30 m zusammengesteckter Kopfputz, der nur noch das Gesicht der Trägerin frei lässt. Gekrönt wird das Geschappel von einem Krönchen aus bunten Hohlglasperlen in das symbolisch zwei Puppengesichtchen eingearbeitet sind. An den Seiten wird das Geschappel noch mit gestickten Bändern verziert.
Als weiteren Schmuck trägt eine Braut um die Taille ein Samtband, passend zu Brett und Strumpfbändern, das im Schoß in Schleifen gelegt ist. Die Unterarme sind mit langen baumwollenen Handschuhen bedeckt, die ähnlich den Strümpfen mit stolzen Zwickelmustern gestrickt sind. An den Oberarmen sind mit braunem Seidenband kleine Blumensträuße gebunden.
Tracht des Bräutigams
Der Bräutigam trägt in der Grundform analog zur Braut die Schwälmer Abendmahlstracht für Männer. Über stolz mit Weißstickerei an Kragen, Brustausschnitt und Ärmelbündchen verziertem Hochzeitshemd trägt man die blaue Wolltuchweste, die an den Ecken und über den Taschen reich bestickt ist. Der Hemdkragen wird mit einem schwarzen taftseidenen Halstuch geschlossen, dessen Enden waagerecht abstehen sollen.
Eine weiße, knielange Leinenhose, dunkelblaue Wollstrümpfe und je nach sozialem Stand kniehohe Schaftstiefel oder Schnallenschuhe mit eckigen Festtagsschnallen schließen nach unten ab.
Über dem Untergewand trägt der Bräutigam den schwarzen Abendmahlsrock und auf dem Kopf den stumpf gebundenen Dreispitz, der mit der sogenannten hohen Lust verziert ist. Eine rundliche Bräutigamskrone aus Hohlglasperlen, zwei Puppengesichtchen und Flitter wird fächerartig von roten Seiden- und Goldblattbändern eingefasst und über den Hutrand bis auf Augenhöhe an den Dreispitz angesteckt. Dies soll symbolisch ausdrücken, dass der Mann nicht mehr nach anderen Frauen schauen darf.
Auf der linken Brust trägt der Bräutigam ein blaufischiges Seidenhalstuch, unter dem später die Kinder vor Blicken geschützt zur Taufe getragen werden. Über dem Tuch wird noch ein Papierblumensträußchen angesteckt und ein in Schleife gelegtes blaues Seidenband angeheftet. An den Oberarmen trägt der Bräutigam wie die Braut ein Blumensträußchen, das mit braunem Seidenband angebunden ist. Die Hände schmücken baumwollene stolz gestrickte Zwickelhandschuhe.
Quellenverzeichnis
- Metz (1997). Schwälmer Jahrbuch, Seite 67-68
- Gabor. Die Schwälmer Tracht, Seite 63
- Riebeling, Metz, Ordemann. Die Schwälmer Tracht, Seite 8
- Metz(1991). Schwälmer Jahrbuch, Seite 19
- Miehe (2006). Schwälmer Jahrbuch, Seite 81
- Rohrmann. Schwälmer Trachten und Stickereien, Seite 6
Literaturempfehlungen
- Brunhilde Miehe. Der Tracht treu geblieben, Band 1 und Band 3
- Hans Retzlaff. Die Schwalm
- Heinz Metz. Schwämer Jahrbücher des Schwälmer Heimatbundes
- Heinz Rübelin. Heinrich Metz, Dirk Ordemann, Die Schwälmer Tracht
- Ingo Gabor. Die Schwälmer Tracht, Historische Entwicklung und soziale Bedeutung
- Brunhilde Miehe. Volksleben in der Schwalm
- Ilse Rohrmann. Schwälmer Trachten und Stickereien
- Eckhard Hofmann, Jürgen Homberger, Wolf Lücking (2009). Tagewerk und Abendmahl, Hessische Trachten. Hessische Vereinigung für Tanz- und Trachtenpflege. ISBN 978-3-9802466-9-9
- Hans Retzlaff (1971). Kleine Reise in die Schwalm
- E. M. Schumacher. Kleine Reise in die Schwalmstadt
- Hans Retzlaff, Barbara Greve. Die Schwalm
- Gandert, Miehe. Volkskunst in der Schwalm
HVT-Gruppen mit Schwälmer Tracht
Kinder-Gitarrengruppe des Knüllgebirgsvereins Ziegenhain e.V.
Sabine Becker
beckermail-sabine@web.de
Schwälmer Volkstanzgruppe Röllshausen e.V.
Florian Lotter
svtg-roellshausen@gmx.de
www.schwaelmer-volkstanzgruppe.de/
Original Schwälmer Volkstanz- und Trachtengruppe „Rotkäppchen“ Schrecksbach e.V.
Roland Lahr
roland.lahr@online.de
Tanz- und Trachtengruppe Loshausen 1978 e.V.
Marco Rühl
info@trachtengruppe-loshausen.de
www.trachtengruppe-loshausen.de/