Vorstellung
Tracht ist eine regionale Kleidungsform, welche von Leuten getragen wird, die meist aus einem landwirtschaftlich geprägten Umfeld entstammen. Die Entwicklung der heute im Landkreis Marburg bekannten Trachten, begann vermutlich im ausgehenden 18. Jahrhundert. Auch die Schweinsberger Tracht entstand im Laufe dieser Zeit und grenzte sich durch die Sonderstellung eines „städtischen Dorfes“, von den Nachbartrachten ab. Viele Frauen begannen hier bereits nach dem ersten Weltkrieg ihre Tracht durch städtische Kleidung zu ersetzen. Die letzte Trachtenträgerin verstarb 1989. Mit ihr verschwand die Schweinsberger Tracht gänzlich aus dem örtlichen Erscheinungsbild.
Frauentracht um 1910
Kappe
Bei der Tracht der Frau ist am auffälligsten die kleine weiße Kappe, die auf der Vorderseite mit zwei perlenbestickten Blümchen verziert ist. Ein identisches befindet sich in der Mitte der oberen Hälfte des Rückteils. An beiden Seiten sind Bänder angebracht, die in der Regel aus weißem Moireband waren und unter dem Kinn zu einer Schleife gebunden werden. Auch am faltigen Rückenteil der Kappe hängt eine gleichartige Schleife über den Rücken herab, an deren Ende ein Schwalbenschwanzmuster eingeschnitten ist.
Die Kappen und Bänder waren weiß mit Ausnahme des Karfreitags und des Bettages. Jüngere Frauen trugen weiße Kappen mit schwarzen Blumen in Perlenstickerei, später violette und schließlich schwarze Kappen mit gestickten weißen Seidenblümchen, ihre Bänder waren dann aber immer schwarz.
Haartracht
Die Haare teilte man zu einem Scheitel und kämmte sie zum Hinterkopf, wo man sie mit einem Band zusammenhielt. Hier wurden sie zu einem Zopf geflochten, welcher nach oben zu einem Halbkranz gelegt und schließlich mit einem Haarkamm am hinteren Teil der Kopfplatte befestigt wurde.
Das Hemd
Das Hemd bestand aus einem weißen Leinenhemd, welches im Schnitt mit den Hemden der oberhessischen Trachten konform ging. Gefertigt wurde es mit ¾ langen Ärmeln, die bis auf das Monogramm der Trägerin am Halsausschnitt keine Verzierungen aufwiesen.
Das Leibchen
Über das Hemd legten die Frauen ein einreihiges Leibchen aus dunklen handelsüblichen Stoff oder schwarzem Samt, welches durch Haken und Ösen oder Knopfreihen geschlossen wurde. In Schweinsberg wurde, im Gegensatz zu den bäuerlichen Nachbartrachten, das Leibchen bis zur Taille geschnitten und dort mit einem Hüftkissen im Rückenteil versehen. Auf diese Weise fanden die Röcke der Trachtenträgerin ihren Halt.
Der Unterrock
Der Unterste war ein weißer Leinenunterrock, der mit Spitze oder Lochstickerei geschmückt sein konnte. Darüber kam ein roter Unterrock aus Wollbiber, welcher am unteren Saum mit einem hellgrünen Florettband sowie einer passenden Litze versehen war. Er war ebenso gearbeitet wie die Oberröcke.
Der Rock
Die köchellangen Röcke aus Tuch, Wollbiber, oder Beiderwand waren vornehmlich in verhaltenen Farben wie dunkelbraun, moosgrün, braun oder beige gehalten. Sie wurden im oberen Drittel in Falten gelegt. Den unteren Saum schützte man vorwiegend mit einer Besenlitze oder einem Kordel. Die Röcke konnten mit schmalen oder breiten einfachen dunklen Samtbändern, Presssamt in floraler Optik oder auch mit gemusterten Baumwollbändern besetzt sein. Aber auch die zu dieser Zeit üblichen Räder- oder Schlangenguimpen wurden gern gewählt. Es war üblich, dass zwei oder drei dieser Besätze mit einem geringen Abstand übereinander angeordnet und mit einem Abstand von 3-4 Finger breit vom unteren Rand aufgenäht
wurden.
Jacke
Die über dem „Leibchen“ getragene Frauenjacke mit angeschnittenen Ärmeln, der sogenannte „Hanspeter“ hat hinten einen Ausschnitt, in dem man das Halstuch trägt. Die Länge der Jacke reicht bis zur Taille. Gefertigt war er je nach Anlass und Jahreszeit aus Woll-, Seiden- oder Samtstoff in verschiedenen Farben, jedoch einfarbig mit oft gleichfarbenen Blumen. Der schmale Jackenbesatz, die sogenannte „Frisur“ am Halsausschnitt war aus dem gleichen Stoff wie die Jacke. Verziert wurde er, genau wie die Ärmelbündchen, mit Samtbändchen, Perlenschnüren oder anderen feinen Posamenten.
Schürze
Die Schürze war in der Regel aus dem gleichen Stoff wie die Jacke genäht oder farblich aufeinander abgestimmt. Sie reichte nur bis zum Rockbesatz. Der Schürzenbund wurde in Falten gelegt und mit den gleichen Guimpen, wie auf dem Hanspeter verziert. Die Falten konnten zusätzlich auch geknippt sein. An den Rocksaum setzten die Frauen eine meist schwarze Spachtelspitze. Ca. 5 cm über dem Saum konnte noch eine passende Guimpe oder ein Samtband angebracht werden.
Schuhe und Strümpfe
Die einfachen Strümpfe (ohne Zwickel) waren sonntags weiß. Ältere Frauen trugen schwarze Strümpfe. Dazu wurden flach ausgeschnittene Schuhe getragen. Später ging man für gut zu den handelsüblichen schwarzen Spangenschuhen über.
Tasche „Sack“
Die Schweinsberger Tracht besaß keine Rocktasche. Daher fertigten sich die Mädchen mit Stickereien (u.a. mit Monogramm) verzierte Taschen an. Diese, in Schweinsberg „Sack“ genannte Täschchen befestigte man mittels einem schmalen Band oder Kordel, die um die Taille gebunden wurden und von der rechten Schürzenseite verdeckt waren.
Tuch
Unter der Jacke legten die Mädchen und jungen Frauen das zum Dreieck gefaltete Brusttuch, welches aus buntem Wollmusselin mit Rosenmustern oder aus farbiger Seide oder Tüllspitze war. Ältere Frauen hingegen bevorzugten verhaltene Farben aus denselben Stoffqualitäten. Man schützte die guten Tücher mit einem weißen Baumwoll-Untertuch, welches lediglich am oberen Halsausschnitt sichtbar war. Zusammengehalten wurden die Tücher mit einer Brosche.
Männertracht
Bei der Männerkleidung kennt man nicht die klassische Abgrenzung der Trachtengebiete, wie bei den Frauentrachten. Sie war vielmehr über Gebiets- und teilweise Landesgrenzen hinweg verbreitet. Die Männertracht in Schweinsberg wurde schon sehr früh abgelegt. Anhand der noch vorliegenden Trachtenteile kann davon ausgegangen werden, dass diese konform ging mit der Kleidungsweise der benachbarten Trachtengebiete im Marburger Land. Eine Besonderheit stellt jedoch der Männerkittel dar, den wir nachstehend genauer beschreiben und der sich von den Kitteln aus anderen Dörfern unterscheidet.
Kittel
Der Kittel wurde aus blauem Leinen gefertigt und reichte bis zur Hüfte. An Schulter und Ärmelbündchen wurden Falten gezogen „eingelesen“. Schulterpasse und Ärmelbündchen waren mit einer schlichten Weißstickerei verziert.
Kopfbedeckung
Früher trugen die Männer bei feierlichen Anlässen den Dreispitz welcher um 1880 vom Zylinder abgelöst wurde. Überliefert wurde, dass in Schweinsberg die schwarze Schildkappe getragen wurde. Zum abendlichen Gang ins Wirtshaus oder nach Feierabend trugen die Männer in alter Zeit auch gerne das sog. „Määsje“. Es war aus schwarzem Samt gefertigt, bestickt oder mit Perlen verziert. Verbreitet war im 19. Jahrhundert auch die Glockenkappe (Glockebätzel), die zur Arbeit getragen wurde. Sie wurde auf speziellen Wirkmaschinen in der Grundfarbe blau mit weißen Mustern gestrickt. Sie konnte Initialen und Jahreszahl aufweisen.
Hemd
Das Hemd war aus Leinen in der Farbe weiß und knielang. Es war einfach gehalten, an Schulter und Ärmelbündchen „eingelesen“ und es ist anzunehmen, dass Sie keine Verzierungen hatten. Die Hemden hatten entweder einen Umlegekragen oder einen Stehkragen. Um den Hals trug man ein Schweißtuch (rot oder blau), bei feierlichen Anlässen in schwarz, damit der Kragen nicht so schnell schmutzig wurde.
Weste
über das Hemd kam eine Weste, die vermutlich, wie in den anderen Regionen auch, aus schwarzem Samt mit bunten Blümchen bestickt oder aus farbiger Atlasseide gefertigt war.
Sie war hochgeschlossen und mit zwei Knopfreihen und einem kleinen Stehbund oder Umlegekragen versehen. Das Rückenteil bestand aus einfarbigem Stoff (Satin, Leinen usw.).
Hose und Hosenträger
In früher Zeit trug man so genannte Kniebundhosen aus Leinen, schwarzem Manchestersamt oder Leder. Ende des 19. Jahrhunderts kamen langen Hosen auf. Für gut (Kirchgang, Hochzeiten, Abendmahl) eine schwarze Tuchhose. Werktags wurden Manchesterhosen getragen. Ein Schmuckstück zu den langen Hosen waren die kunstvoll gearbeiteten Hosenträger. Für Festtage und Kirmes waren sie schön mit Gobelinstickerei verziert.
Strümpfe und Schuhe
Zu den Kniehosen trug man gestrickte Strümpfe, weiß oder naturfarben, für zeremonielle Anlässe schwarz. Die Schuhe waren flache lederne Schnallenschuhe.
Quellenverzeichnis
- Frankenberg, Erich (2006): Wie sei mer da gemostert. S. 113-119. 2. Auflage. HVT Bezirk Mitte. ISBN 978-3-00-014970-8.
- Gutjahr, Walter (1996): Die Trachtenvielfalt im Marburger Land. Reichelsheim. HVT. ISBN 978-3-9802466-4-4.
- Hofmann, Eckhard & Homberger, Jürgen (2008): Die Schweinsberger Frauentracht. Schweinsberg. Privat.
Literaturempfehlungen
- Frankenberg, Erich (2006): Wie sei mer da gemostert. S. 113-119. 2. Auflage. HVT Bezirk Mitte. ISBN 978-3-00-014970-8.
HVT–Mitglieder mit Schweinsberger Tracht
Hessische Volkskunstgilde e.V.
Anneliese Schömann
anneliese.schoemann@hvt-hessen.de
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